Nach der unerwartet schönen Tour durch das Rätikon im letzten Jahr bot sich eine Fortsetzung in das Silvretta-Massiv an. Die Route sollte von St. Gallenkirch nach Süden, dann östlich durch die Silvretta, entlang der Stauseen und durch die Vallüla nach Norden führen, um dann auf dem Wormser Höhenweg nach St. Gallenkirch zurückzukehren.
Parken ist sommers in St. Gallenkirch auf dem Parkplatz der Winterseilbahnen (Grasjoch- und Valisera-Bahn) problemlos möglich, so kann der Aufstieg von St. Gallenkirch über die Innergweil-Alpe bis zum Gweiljoch über schlappe 1500 Höhenmeter zügig beginnen. Die nächtliche Pause hilft da bei der Bewältigung.
Schon während des Aufstiegs gibt es erste Blümchen und - wichtiger - Walderdbeeren zu bestaunen. Ab der Innergweil-Alpe wird es dann wirklich alpin, ein lang ersehntes Gefühl. Die ersten Schneefelder, teils von Bächen unterspült, laden zum Schneeballwerfen und Gesicht kühlen ein.
Auf dem Gweiljoch gibt es dann einen Blick zurück ins Montafon und auf die Bergkette, die unsere Wanderung beschließen wird. Voraus hingegen liegen die Kalkberge des Rätikon, die schon im letzten Jahr für viel Freude sorgten.
Vor den Kalkbergen gilt es jedoch, den ersten Abstieg zu bewältigen, zur Tilisuna-Alpe quer durch von Blumen übersääte Wiesen und einige weitere Schneefelder. Entlang der Gesteinsgrenze geht es dann wieder hinauf in Richtung der Tilisuna-Hütte, von der wir uns - kaum in Sichtweite gekommen - zum Gruobenpass wenden.
Über den Plaseggenpass wandeln wir auf (für mich) bekannten Pfaden. Die Gegend hat nichts von ihrem Reiz verloren und das karge Hochtal mit den unterschiedlichen Bergen läuft sich wunderbar.
Im Engi, einem engen Abstieg in Richtung St. Antönien, wenden wir uns nach links durchs Tälli zum Riedkopf hinauf. Der Anstieg ist steil und die sengende Sonne fordert ihren Tribut. Das das Tal füllende Schneefeld ist jedoch auf dem Weg fast nicht zu queren, und so erreichen wir den Pass und von dort gepäckfrei den Riedkopf.
Der 2552m hohe Riedkopf bietet diesmal feinste Aussicht bei bestem Wetter; im Osten die Silvretta in ganzer Pracht, und im Westen das Rätikon mit der Fluen und dem Schesaplana-Massiv im Hintergrund.
Am Wegrand entdeckt ein versierter Finder einen in seinem Nest brütenden Vogel. Das braune Federkleid lässt ihn sosehr mit Nest und Untergrund verschmelzen, dass er praktisch unsichtbar ist. Wir haben ihn gebührend bewundert und sodann nicht weiter gestört.
Auf dem Grat entlang geht es auf der Grenze nach Süden, in Richtung des Madrisahorns. Die überhängenden Schneefelder des Grats hatten uns auch im letzten Jahr schon gefallen.
Neben dem Madrisahorn reckt sich die mächtige Gafier Platten mit dem Rätschenhorn auf. Vorher erreichen wir jedoch nach langem Tag den Gafiersee, wo ein kaltes Bad die verdiente Ruhepause einleitet.
Am nächsten Morgen geht es - nach erneutem Baden - gestärkt weiter auf die Gafier Platten. Der Grat erweist sich dabei als weniger steigungsfrei als erwartet, zudem recht gut besucht. Abseits der Hauptwanderwege sind wir dann jedoch wieder ganz unter uns.
Der Aufstieg über die Gafier Platten über immerhin 300m ist noch recht verschneit, aber trotzdem gut zu laufen. Vom Rätschenjoch gibt es dann einen schönen Blick auf den erlaufenen Grat und nach Graubünden. Im folgenden östlichen Abstieg passieren wir ein Skigebiet, das durch seine enorme Hässlichkeit bestach. Zerfurchte Berghänge und raupengerechte Pisten nehmen der rauhen Natur ihren Platz; ich bin bisher kaum durch Skigebiete gelaufen, nun weiß ich auch warum.
Unterhalb vom Schlappiner Joch kommen wir auf die Nordflanke des Schlappintals, wo ein unmarkierter Wanderweg uns auf ca 2000m Höhe in Richtung des Silvretta-Massivs bringen solle. Leider erweist sich der Einstieg in besagten Weg als etwas uneindeutig, sodass wir einige schweißtreibende Höhenmeter auf der satten Wiese der Alm zubringen, um unseren Weg zu erreichen. Einmal gefunden stellt sich der Pfad als wunderbar zu Laufen heraus, mit herrlichen Ausblicken. Ziemlich sonnig ist es allerdings auch.
Am Ende des Tals finden wir sogar einen badegeeigneten Bach mit eiskaltem Wasser - wunderbar. Der folgende Aufstieg über über die Schaftällifurgga zum Hüenersee erwärmt uns dafür wieder kräftig, belohnt werden wir mit einem spektakulären Blick über das Hochtal des Sees.
Der Talboden ist über und über mit Apenglöckchen bedeckt. Diese Blumen sind die Ersten auf gerade abgetauten Schneeflächen und gehören zur Familie der Primelgewächse. Woher sie also die Energie nehmen, ohne Zwiebel oder Ähnliches mit dem ersten Licht auszutreiben und zu blühen, ist mir unklar.
Ein Pass ist kein Pass, also geht es weiter über das Schottenseefürggli zum Schottensee. Dieser erwacht gerade noch aus dem Winterschlaf und ist noch teilweise von Eis bedeckt.
Unser Weg führt von dort talwärts zum Seetalsee. Dieser See wird als Destination fürs Fliegenfischen (nein, keine Fliegen fischen, sondern Forellen!) beworben. An der nahebei gelegenen Seetalhütte, einer Selbstversorgerhütte des SAC, trinken wir am Hüttenkiosk (Kasse des Vertrauens - na klar) fröhlich Apfelmost von Möhl, einer schweizer Mosterei, die ihren Most in Eichenfässern reifen lässt. Ob es nur Durst und die schöne Situation sind, oder ob das Zeug wirklich so verdammt gut schmeckt will ich vermutlich garnicht wissen… man kanns hier wohl sowieso nicht kaufen.
Unser weiterer Weg führt uns wieder hinauf zur Scharte, dem Übergang in das Obersilvretta genannte Tal. Auch dort finden wir es eine Ansammlung größtenteils zugefrohrener Seen und weitläufiger Schneefelder. Der Sommer beginnt auf 2500m eben erst in der zweiten Jahreshälfte.
Nach dem Abstieg erreichen wir die Silvrettahütte, die mit abstand stilvollste Hütte, die ich je gesehen habe. Alles ist super in Schuss, ohne verschnörkelt oder protzig zu wirken. Schlicht und freundlich, zudem gerade erst geöffnet sind wir die ersten Gäste. Nach einem weiteren Most (schmeckt immernoch!) begeben wir uns auf den Gletscherlehrpfad, der mit Informationstafeln durch das Gletschervorfeld führt.
Dort lernen wir über Geologie, Flora und Fauna und auch den Klimawandel und seine lokalen Auswirkungen. So hat sich in den letzten 150 Jahren der Alpenraum um ca. 1,5°C erwärmt, dadurch ist der Silvretta-Gletscher schon um über 1500m zurückgewichen.
Um die Stimmung vor Ort einzufangen habe ich ein wenig experimentiert und ein paar Videos gemacht. Keine Ahnung, ob das im Blog funktioniert oder nicht - Rückmeldungen willkommen.
Aufziehende Wolken drängen uns irgendwann zum Weitergehen, auch wenn wir gern noch etwas geblieben wären. So führt unser Weg über die rote Furka, der Pass vom Gletscher in Richtung Norden.
Auf der Passhöhe finden wir einige Kletterrouten, außerdem überqueren wir die Grenze und merken den Unterschied schon gleich an der Qualität der Markierungen. Während die eidgenössischen Markierungen tiptopp und stets Weiß-Rot-Weiß sind, herrschen auf KuK-Seite verblichene dunkelrote Streifen vor, ohne kontrastierende weiße Streifen. Der Weg wird jedoch nicht weniger spektakulär, so führt der Abstieg ins Klostertal - nach einem ausführlichen Blick zurück auf den Gletscher - über den nackten Fels, wo ich für die guten Sohlen der Wanderschuhe dankbar bin.
Durch das Klostertal steigen wir langsam zum Silvretta-Stausee ab, steigen über Schmelzwasserbäche und überqueren einige Schneefelder. Ab der Klostertaler Umwelthütte, einer Selbstversorgerhütte des DAV, wird der Pfad zu einem Fahrweg, der sich das Tal hinab schlängelt.
Der Silvretta-Stausee gehört zu den Vorarlberger Illwerken, einem großen Betreiber von Wasserkraftanlagen im Montafon. Die Silvretta-Hochalpenstraße führt mautpflichtig viele Touristen auf die Passhöhe, so finden wir dort eine große Anzahl von Motorradfahrern und anderen Ausflüglern vor. Trotzdem lassen wir uns ein Bad im vom Gletscherwasser trüben See natürlich nicht entgehen, nach einem warmen Apfelstrudel zieht es uns jedoch wieder in die Höhe.
Schon nach ein paar Höhenmetern hinauf in die Vallüla sind wir wieder fast allein. Gestärkt durch Kaffee und Kuchen (K&K?) steigen wir die 500 Höhenmeter in Rekordzeit und haben von oben freien Blick auf das Silvretta-Massiv. Selbst der höchste Berg der Gruppe, der Große Piz Buin, ist zu sehen hervor.
Auf der anderen Seite des Jochs erwartet uns ein steiniger teils schneebedeckter Weg, mit blick auf das obere Montafon. Der obere Vallüla-See lädt mit klarem Wasser und einigen steinigen Inseln zum Baden ein, wie ein Balkon eröffnet er den Ausblick nach Westen. Dort sind sowohl die vorgelagerte Bergkette als auch der sich in beachtlichem Abstand oberhalb von Vadans befindliche Zimba (2643m) beim Schwimmen zu bestaunen, auch wenn das kalte Wasser die Aufmerksamkeit stark beansprucht.
Auf der blau markierten Route - das soll wohl einen erhöhten Schwierigkeitsgrad andeuten - gibt es aus den durchlaufenen Blockfelden immer wieder schöne Ausblicke ins Montafon.
An feuchten Stellen zwischendurch finden wir immer wieder Frösche, die vor unseren Schritten panisch davon hüpfen. Nicht immer zielen sie dabei glücklich, manchmal ist es schwierig sie nicht zu zertreten. Ich hoffe stets, dass sie nicht unkontrolliert den Berg hinab fallen, aber das festhalten beherrschen sie doch erstaunlich gut. Wahrscheinlich sind die anderen lieber Talfrösche geworden.
Den Tag beschließen wir am unteren Vallüla-See. Dieser von weichen Grashängen umgebene See bleibt dann doch fast unbebadet; die von Westen aufziehenden dicke Wolken und ein etwas kühler Wind lassen uns im Windschatten eines Felsbrockens feines Abendmahl bereiten.
Ein kurzer Niesel veranlasst uns später zum schnellen Zusammenpacken aller Dinge, doch echter Regen bleibt aus. Dafür können wir beobachten, wie sich die Wolken im Nachbartal fangen und weit entfernte Blitze die Wolkentürme erleuchten. Mit zunehmender Dunkelheit wird das Wetterleuchten immer eindrucksvoller, aber auch die Kälte kriecht den Rücken hinauf. So ist irgendwann auch der spektakuläre Nachthimmel dann nicht mehr einem warmen Bett vorzuziehen.
Am nächsten Tag geht es, wiederum den Fröschen ausweichend, zum breiten Spitz. Der Ort trägt diese etwas oxymorisch anmutende Bezeichnung durchaus zu Recht, ist er doch von Osten her fast flach zu erreichen. Nach Westen jedoch fällt er jäh ab und ist von Partenen im Montafon aus sicherlich eine nicht zu übersehende Landmarke.
Das Kreuz des breiten Spitz trägt die Inschrift Im Kreuz ist Heil, datiert auf die siebziger Jahre. Andere Zeiten, andere Sitten. Heute würde man das wohl anders formulieren.
Durch ein besonders hässliches Skigebiet geht es nun hinab zum Speicher Kops. Das erste Mal seit Tagen sind wir auf unter 2000m und neben üppigem Grün und vielen Blumen heißt das natürlich: viele Menschen. Der Speicher gehört ebenfalls zu den Illwerken und ist mit seiner doppelt gebogenen Staumauer schon beeindruckend.
Die Vorteile der Zivilisationsnähe nutzen wir natürlich gnadenlos aus, so gibt es Kaffee, Bier und Germknödel für alle.
Der folgende gemächliche Aufstieg durch das Verbellatal führt uns durch sanfte Hänge voller Murmeltiere bis zur Heilbronner Hütte. Diese liegt wie eine Trutzburg auf der Wasserscheide zwischen Verbellatal und Schönverwall, die gleichzeitig auch die Wasserscheide zwischen Rhein und Donau ist. Zudem beginnt dort unser einstündiger Ausflug nach Tirol. Die vom DAV München betriebene Hütte motiviert uns mit ihrem typisch deutschen Charme zum Weitergehen ohne Pause, schon von Weitem grüßen die Verbotsschilder.
Der Weg entlang hinauf aufs Valschavieler Jöchle geht uns flott von der Hand, und spätestens dort ist klar, dass wir die wirklich hohen Berge nun hinter uns gelassen haben.
Vom Wormser Höhenweg haben wir zwar einige Ausblicke auf die bisherige Route, aber die großen Attraktionen sind nun nur noch aus der Ferne zu bestaunen.
Entlang des Weges passieren wir den Valschavieler Maderer, den wir schon beim Aufstieg sahen, und den Roßberg. Auf vergleichsweise lieblichen grünen Flanken und in lauschigen Tälern genießen wir den Ausklang der Wanderung mit reichlich Pausen. Ein ursprünglich angedachter Abstecher zu den Alpgues-Seen fällt aufgrund des völlig mit Nebel angefüllten Tales aus; keiner hat Lust auf Baden im Nebel und ohne wärmende Sonne. So gibt es noch eine kleine Schneeballschlacht im letzten Schneefeld, bevor der Abstieg nach St. Gallenkirch beginnt.
Die immerhin rund 1360m Abstieg bewältigen wir trotz mehrerer Walderdbeer- und Heidelbeerpausen in nur zwei Stunden, auch wenn dann die Knie dankbar sind für die Entlastung.
Nun ist auch diese Reise vorbei, und schon habe ich Ideen, wo man diese Route fortsetzen könnte… Die Karte vom letzten Jahr habe ich, trotz einiger Unzulänglichkeiten, auch in diesem Jahr wieder benutzt. Jetzt zerfällt sie allerdings vollständig, und eine weitere Wanderung wird sie nicht erleben.
Dank meiner Mitreisenden konnte ich auf dieser Wanderung viele Blumen (wieder) kennen lernen, so sahen wir neben dem prominent erwähnten Alpenglöckchen natürlich ganz viel Enzian, Trollblumen, schwarze Kohlröschen, geflecktes Knabenkraut und andere Orchideen, aber auch alltäglichere Blumen wie Butterblumen und Gänseblümchen. Und wenn ich schon Gemüse aufzähle, dann darf natürlich auch die Alpenrose (ein Rhododontron, wie ich lernte) nicht fehlen.