Südlich des Gotthard-Passes liegt das Ticino-Tal, wo sich der Fernverkehr nach Mailand durch die engen Biegungen windet. Hoch oben über diesem lauten Tal liegen erstaunlich ruhige Bergwege, die sich zu begehen lohnt.

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Die Route

Unsere Tour startet in Lavorgo, wohin wir über Bellinzona mit dem pünktlichen schweizer Zug angereist sind, und führt über die Bergkette südlich des Valle Leventina bis nach Airolo direkt am Passaufstieg des Gotthard.

In Lavorgo überqueren wir die großen Verkehrsachsen Bahn und Autobahn. Während auf der Eisenbahn seit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels nur noch Regionalverkehr rollt, dröhnt auf der Autobahn massiver Verkehr durch das Tal. Dieser Lärm verschwindet jedoch schnell, als wir durch das Dorf aufsteigen und zwischen den Esskastanienbäumen den Wanderweg nach Chironico beschreiten. Hinter Chironico führt die Straße ein Stück das Tal hinauf, endet aber bald an einem großen Hangrutsch. Von dort führt ein gut gebauter Weg teils gepflastert hinauf zum Weiler Cala, wo wir außer einer Kirche und ein paar Ziegen niemanden zu Gesicht bekommen.

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Verschlafenes Cala oberhalb von Chironico

Weiter geht es durch das wilde Val Chironico, an dessen Hängen offensichtlich mittels Hubschraubern Forstwirtschaft betrieben wird. Wir wenden uns nicht zur Alpe Sponda, sondern gehen durch den Talgrund hinauf in Richtung Passo di Piatto. An einem Sporn finden wir ein kleines gemauertes Hüttlein vor, laut Aufschrift das Haus der Fischer von Chironico. Nach wenigen Metern öffnet sich dann vor uns das Tal, und wir blicken auf den Laghetto, einen Stausee unterhalb des Passes. Die Staumauer ist inzwischen größtenteils demoliert, aber es verbleibt noch reichlich Wasser, und auf dem vorgelagerten Plateau lässt es sich wunderbar übernachten.

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Durchbruch direkt unterhalb des Zeltplatzes

Am Morgen geht es westlich um den See herum hinauf auf den Pass. Dort öffnet sich der Blick in das Vezasca-Tal mit seinen sehr schroffen Gipfeln, und auch zurück über den Laghetto und das Ticino-Tal schweift der Blick.

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Blick auf den Laghetto, Cala und das Ticino-Tal

Die Via Alta Verzasca, ein herausfordernder Wanderweg auf der östlichen Talseite der Verzasca mit Schwierigkeiten von T4 bis T6, führt dort in teils abenteuerlicher Wegführung über die Gipfel.

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Schroffe Gipfel im oberen Verzasca-Tal

Wir beschreiten nun den nur mit T4 beschriebenen Pfad zur Capanna Barone, der uns durch steile Flanken, einige Schotterflächen und über Seitengrate führt. Insgesamt ist der Weg teils etwas ausgesetzt, aber selbst mit reichlich Gepäck nicht besonders schwer zu gehen.

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Abenteuerliche Wegführung entlang der Verzasca

Weiter geht es westlich über einen kleinen Pass und dann hinab zur Capanna Soveltra. Der Abstieg ist teils etwas beschwerlich, da die schmale Wegspur manchmal im Gras verschwindet und Löcher kaum auszumachen sind. Zudem geht es viele gerade erst errungene Höhenmeter wieder hinab, das schmerzt.

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Steiler Abstieg über eine gebaute Treppe

Die Capanna Soveltra finden wir abgebrannt und als Bauplatz vor, nur ein paar Ziegen ziehen durch die Gegend. Nach einem ausgiebigen Bad im kalten Fluss kampieren wir auf der Wiese oberhalb der Hütte und ziehen am nächsten Morgen das Tal hinauf in Richtung Pizzo Campo Tencia (3071m). Der Weg führt steil bergan, in der alten Berghütte des Rifugio Pradoi auf rund 2150m machen wir Rast und bestaunen die Vorräte. Besonders beeindruckt uns der reichliche Vorrat an Softdrinks, die in großen Flaschen auf den Konsum warten. Neben ein paar an die Decke gehangenen Isomatten erschöpft sich damit jedoch auch der Luxus vor Ort - abgesehen von Natur und überwältigendem Ausblick natürlich!

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Dem Gipfel nahe

In den folgenden 900 Höhenmetern wird die Flora spärlicher und wir klettern zunehmend über Geröllhalden und Steinfelder. Aus den umliegenden Tälern steigen Wolken in den blauen Himmel und bald haben wir den Gipfel erklommen und genießen die Aussicht in strahlendem Sonnenschein.

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Weit schweift der blick vom Pizzo Campo Tencia über die Tessiner Berge

Der Abstieg über die Nordseite zur Capanna Campo Tencia ist wider erwarten markiert, und so finden wir den Weg durch das steile und steinige Gelände relativ leicht. Trotzdem ist der Abstieg mit nicht unerheblichen Herausforderungen verbunden, da das Gelände immer wieder Steilkanten und Abbrüche aufweist, die der Weg so kreativ wie abenteuerlich durchquert.

Der Gletscher auf der Nordseite des Pizzo Campo Tencia ist fast verschwunden und gleicht eher einem Altschneefeld, aber der darunterliegende Gletschersee ist auch jetzt im Spätsommer noch vereist. In ein paar Jahren ist sicherlich auch dieses Eis verschwunden.

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Kläglicher Gletscherrest und See

Unterhalb des Sees nimmt der Weg einen Linksschwenk und überquert den ins Tal hinabreichenden Rücken, auf dessen Rückseite eine beachtliche Steilwand zu durchqueren ist. Von unterhalb dieser Wand ist es nicht so recht zu verstehen, wie man dort ohne Kletterausrüstung und gar mit schwerem Gepäck durchkommen soll.

Nach einer Zeltnacht geht es weiter über die Piumogna zur Capana Leit. Aufgrund regnerischen Wetters entschließen wir uns, nicht über den Lago di Morghirolo sondern direkt den rot markierten Wanderweg zu gehen, und tatsächlich setzt an der weithin sichtbaren Alpe Lei di Cima Regen ein. Der folgende Aufstieg durch ein Steinfeld ist mit Wegmarkierungen reichlich gesegnet.

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Suchbild: mindestens 17 Markierungen auf dem Weg unter dem Pizzo Campolungo

Vom Pässchen haben wir trübe Aussicht auf das Wetter, den See und den Passo Campolungo mit seiner charakteristischen Dolomit-Falte.

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Pizzo Meda, die prominente Gesteinsfalte und der Laghetto Campolungo im trüben Nieselwetter

Da das Wetter keine Anstalten macht trockener zu werden, entschließen wir uns zur Hüttenübernachtung in der Capanna Leit. Den ganzen Abend regnet es, und morgens überrascht uns die Bergwelt tief verschneit. Es sind 20cm Neuschnee gefallen, und unsere Pläne einer Hochtour damit ersteinmal hinfällig.

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Ähnlicher Blick, am nächsten Morgen

Trotzdem setzen wir unsern Weg fort, anstatt der oberen Weg unter dem Pizzo Meda steigen wir ab zum Lago Tremorgio, wo wir auch die rasch steigende Schneegrenze treffen.

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Deutliche Schneegrenze über dem Lago Tremorgio

Von dort aus geht es nun, über einige kleine Lawinenabgänge, direkt oberhalb des belebten Ticinotals nach Nordwesten und wir haben immer wieder Ausblicke auf die gedrängte Infrastruktur im Tal. Dort drängeln sich Landstraße, Eisenbahntrasse und Autobahn durch die Piottino-Schlucht, später dann zwischen Ambri und Piotta sogar ein Flughafen.

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Eng verwobene Trassen im Ticino-Tal

Wir steigen jedoch wieder auf, und kommen so an die Capanna Garzonera, eine stattliche Selbstversorgerhütte des SAC. In Anbetracht des nassen Schnees entschließen wir, für eine weitere Nacht eine Hütte zu nutzen anstatt im nassen Schnee zu zelten.

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Nasser Schnee rund um die Capanna Garzonera

Auch am nächsten Tag liegt noch ein wenig Schnee, trotzdem versuchen wir den Passo Sassello (2336m) zu erreichen und eventuell sogar zu überqueren und einige Gipfel westlich wieder ins Ticino-Tal zu wechseln. Mit jedem Höhenmeter nimmt jedoch der Schnee zu, und wir können der Spur eines Luchses folgen, der uns vorausgegangen ist.

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Aufstieg zum *Passo Sassello*

Auf dem Pass weht ein kräftiger Wind und wir haben einen wolkenverhangenen Blick auf den Lago del Naret, einmal sieht man sogar kurz die Cristallina. Angesichts der schwierigen Wegeverhältnisse auf der anderen Seite des Passes entscheiden wir uns jedoch gegen ein Experiment, und steigen über den nördlichen Sporn ab.

Schon bald schmilzt der Schnee zusammen und am Lago di Ravina laufen wir dann durch ein sommerlich-grünes Wäldchen aus Fichten und Blaubeersträuchern, as die Erinnerung an den Schnee etwas unwirklich erscheinen lässt.

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Sommerstimmung am *Lago di Ravina*

Die Tour klingt aus mit einer Passage über die grünen Skihänge von Airolo, mit Blick auf die Stadt und die Passstraße zum Gotthard.

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Airolo und der Gotthardpass

Eine letzte Nacht im Zelt, auf der Alpe Zora vis-a-vis mit der Passstraße beschließt diese wechselvolle Tour, bevor wir dann über Airolo und Bellinzona wieder abreisen - natürlich mit dem Zug!