Ein eher ungewöhnlicher Ausflug führt mich im Frühsommer nach New York. Nun sind Megastädte eher nicht so mein Lieblingsgebiet (Tokio fand ich, nunja, enttäuschend), aber New Yorks Charme kann sich vermutlich kaum jemand entziehen.

Ich habe mich dem Großstadtjungle gestellt und mit Leihrad, zu Fuß und öffentlichen Verkehrsmitteln die Stadt erkundet. Wobei “die Stadt” hier sehr umfassend klingt, habe ich doch nur Teile von Manhattan und Brooklyn gesehen. NY selbst hat noch viele weitere Stadtteile und Sehenswürdigkeiten, die zu erkunden wohl ein Jahr nicht ausreicht.

Wer New York hört hat sicherlich zuerst die Hochhäuser von Manhatten vor Augen. Allerdings ist selbst Manhattan nicht flächendeckend mit Hochhäusern, und schon garnicht mit superhohen Wolkenkratzern bebaut. Diese konzentrieren sich auf die Südspitze (lower Manhattan) um das Bankenviertel an der Wall Street und die südliche Umgebung des Central Parks (midtown Manhattan). Erst bei Blicken auf Kirchen und ähnliche von der Form vertraute Gebäude wird mir manchmal das Ausmaß der umgebenden Häuser klar. Eine ganze Stadt davon ist für mich nicht wirklich zu begreifen.

Die zum großen Teil rechtwinkligen Straßen Manhattans sind in überwältigender Mehrheit Einbahnstraßen. An größeren Straßen gibt es auch Radwege oder abgetrennte Radspuren. Selbst außerhalb davon kann ich jedoch auf vielen Straßen auf dem Rad im Verkehr mitschwimmen, ohne mich bedrängt oder gar bedroht zu fühlen. Unterwegs bin ich auf Leihrädern, die im Gegensatz zu Verleihsystemen in anderen Städten eine Grundgebühr kosten, dafür aber zum größten Teil in einem guten Zustand sind. Die erste halbe Stunde kostet keine Gebühren, sodass nach spätenstens 20 Minuten die Suche nach der nächsten Station beginnt. Vor der Wiederausleihe des (idealerweise selben) Fahrrades ist eine moderate Wartezeit von 3 Minuten angesagt, die ich zur Planung der nächsten dreißig Minuten verwende. Die Entleihung selbst funktioniert an Terminals am Ende der Station, die einem einen dreistelligen Code für das gewählte Fahrrad ausspuckt, der dort über Folientasten einzugeben ist. Auch gibt es eine Taste, um Wartungsbedarf anzuzeigen. So sind die Fahrräder in meiner Erfahrung nach meist gut gewartet, auch komplett volle oder leere Stationen passieren nicht allzu oft. Außerhalb von Manhattan und dem westlichen Brooklyn gibt es jedoch keine Stationen, sodass Ausflüge darüber hinaus zeitlich stark limitiert sind.

Auch wenn man es auf den ersten Blick nicht sieht, so ist doch New York voll von Parks. Neben dem weltberühmten Central Park ziehen sich auch an den Gewässern fast überall Grünflächen und Parks entlang. Auf Brooklyns Seite zieht sich unter Brooklyn und Manhattan Bridge der Brooklyn Bridge Park über 2km den East River entlang. Oben dröhnen im Minutentakt U-Bahnen ohrenbetäubend in 20 Metern Höhe über die Metallbrücken, unten liegen die Menschen auf der Wiese, spielen, schlafen, essen und unterhalten sich.
Aber auch in Industriegebieten, fernab größerer Wohngebiete oder gar touristischer Ziele findet man Parks an alten Kai-Anlagen. Ein besonderer Park ist der High Line Park, der auf der Hochbahntrasse der ehemaligen High Line im südwestlichen Teil Manhattans errichtet wurde. Dort schlendert man durch ein ziemlich eindimensionales Gebüsch, überquert Brücken und findet zum Teil noch alte Gleise. Der Park ist bei Anwohnern wie Touristen beliebt, und so schlängeln sich Jogger durch fotografierende Touristenschwärme - bei einem recht schmalen Gehweg doch ein herausforderndes Unterfangen.

In der Dämmerung kehren sich die Silhouetten um, und die beleuchteten Hochhäuser zeichnen sich vor dem dunklen Himmel ab. Dieses Schauspiel beobachte ich von der Aussichtsplatform des höchsten Gebäudes der westliche Hemisphäre: dem One World Trade Center. Der Zutritt ist angemessen teuer (und natürlich ohne Steuern angegeben…) und wird mit einer mächtigen Multimediashow begleitet. Im beeindruckend schnellen Aufzug sind alle Wände mit Bildschirmen bedeckt und zeigen die Entwicklung New Yorks über die Jahrzehnte, vor dem Zutritt zum Aussichtsgeschoss gibt es zudem noch eine kurze Videovorführung, an deren Ende die Projektionsfläche wegklappt und den Blick auf die Skyline freigibt.
Die Plattform selbst erlaubt einen Blick über Manhattan und alle angrenzenden Stadtteile, sowie Neywark auf der anderen Seite des Hudson. Ein spektakulärer Sonnenuntergang samt durchziehenden Regenschauern und das Aufleuchten der Stadt in tausenden Lichtern ist Garantie für längere Unterhaltung. Besonders mit Fernglas ist die Beobachtung des Verkehrs auf den großen Hauptachsen ein Vergnügen ersten Ranges.


Vor der NewYorker Börse ist tatsächlich eine Fußgängerzone eingerichtet, und das Gebäude nimmt sich winzig aus zwischen den gedrängten Bürotürmen rundherum
Entgegen meiner initialen Erwartung ist Manhattan mitnichten nur mit Hochhäusern und Wolkenkratzern vollgestellt. Außerhalb der oben beschriebenen Gegenden, wo die Giganten natürlich alles dominieren, gibt es viele eher kleinstädtisch geprägte Gegenden, wo sich die typischen New Yorker Wohnhäuser mit wenigen Etagen und Vortreppe und Vorgarten oder Garagen und Industrieflächen befinden.

Ganz besonders kleinstädtisch-ländlich wirken auf mich dagegen weite Teile von Brooklyn. Flache Häuser mit Gärten, schmale Straßen und viele beschauliche Wohnviertel dominieren das Stadtbild. Nur die Skyline am Horizont erhebt sich wie ein fernes Gebirge und erinnert an die hektische Großstadtwildnis.

Ebenfalls in Brooklyn ist das jüdische Leben so offen möglich wie sonst möglicherweise nur in Israel. Kippatragende Männer, schwarzbehütete bärtige Männer mit Schläfenlocken und Frauen mit langen Kleidern und Kopftuch sind allgegenwärtig. Eine derartige Selbstverständlichkeit streng religiösen Lebens in der öffentlichkeit kannte ich bisher nur aus den muslimischen Ländern.

Während der Besichtigung von Manhattan gerate ich am Nachmittag unversehens in eine schier unendliche Gay Pride Parade. Diese blockiert ganze Straßenzüge und zieht durch ganz Manhattan. Am Washington Square, einem der kleineren Manhattaner Parks, herrscht Volksfeststimmung und die Menschen tanzen im und um den Brunnen. Selbst die Kirchen und Synagogen in der Stadt haben außen Slogans zur Unterstützung der Bewegung angeschlagen. In Anbetracht offizieller Positionen der großen Religionsgemeinschaften kann ich das nur als lokales Phänomen von marginalisierten Gruppen verstehen. Toleranz ist eben nahezu immer ein Anliegen von Minderheiten.










Für Museen und ähnliche Veranstaltungen habe ich gar keine Zeit, denn die Stadt allein ist schon faszinierend genug. Nach wenigen Tagen war ich allerdings von der ständigen Aktion und Hast der Stadt sowie meiner mitunter recht hektischen Suche nach der nächsten Leihfahrradstation etwas gestresst und froh, nach Hause zurückzukehren.
Großstadtjungle eben.