Ein echter Winterausflug. Skifahren, Tiefschnee, Natur und nirgendwo Menschen - das wäre doch schön! Um dies umzusetzen, haben wir uns Mittelschweden ausgesucht. In der Nähe von Åre, einem der größten Skigebiet Schwedens und Austragungsort des Skiweltcups 2019 liegt das Vålådalen (sprich Vooloodalen). Åre liegt an der Bahnlinie von Trondheim nach Östersund und ist so recht gut erreichbar, ins Vålådalen ist es dann nur noch eine kurze Fahrt mit dem Regionalbus.

Diese Anbindung lädt dazu ein, mit bodengebundenen Verkehrsmitteln anzureisen. So fahren wir von Swinemünde mit der Fähre über die Ostsee und anschließend von Malmö mit dem durchgehenden Nachtzug bis nach Undersåker bei Åre. Das ist zwar recht zeitintensiv, aber auch erlebnisreich. Und das Mitbringen eigener Ski ist auch viel unkomplizierter.

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Routenübersicht

Nach der Ankunft und der Information über aktuelle Gegebenheiten, Gefahren und der Ausleihe einer Lastenpulka stürzen wir uns erwartungsvoll in die leeren Pisten. Durch eine ungewöhnlich lange Wärmeperiode im Februar ist die Schneedecke sehr dünn, teils arg löchrig geworden und vor allem an offenen Stellen weggeweht oder stark vereist.

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Vollbepackte Pulka auf vereistem Schnee.

Da wir keine reguläre Lastenpulka, sondern eine Kindertransportpulka haben, gestaltet sich das Packen etwas schwierig. So ist die Rückenlehne nicht herausnehmbar und wir haben keine Verschnürung auf dem Verdeck für leichte Sachen wie Isomatten. Trotzdem geht, angetrieben durch die Neugier auf das unbekannte Terrain, die Tour zügig los. Auch erste Stürze und Erfahrungen mit verharschtem Schnee bremsen den Enthusiasmus kaum.

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Blick auf die waldlosen Berge

Anfangs führt uns die Tour durch den dichten Wald, teilweise auf Schneemobilspuren. Mit zunehmender Höhe tauchen immer wieder offene versumpfte Flächen auf, die oft mit angetauten Eisflächen überzogen sind. Ab und an erhaschen wir auch einen Blick auf die baumlosen Berge und können sehen, wie wenig Schnee dort liegt. Wind und Wärme haben dort die Schneedecke praktisch unbefahrbar gemacht, so ist schnell klar, dass wir nicht hoch übers Fjäll werden fahren können.

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Traditionell samische Hütte - eine wunderbare Unterkunft

Den Tag beschließen wir in einer eigentlich für Tagesausflüge gedachten samischen Torfhütte. Sie steht auf einem steilen Hügelchen und ist im Prinzip ein Torf-bedecktes hölzernes Tipi mit kleinem Ofen, einem Fenster und ein paar Bänken. Fließendes Wasser finden wir in der Umgebung nicht, und die einbrechende Dunkelheit und die Erschöpfung vom Tag lassen uns dann doch aufs Schnee schmelzen zurück greifen.

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Blick über das westliche Vålådalen auf das Ottfjället

Der nächste Morgen bringt einen kurzen Anstieg. Von dem dort erreichten Absatz haben wir einen grandiosen Blick über das westliche Vålådalen, den bewaldeten Talkessel und die zugefrorenen Seen im Norden des Tals. Im nun folgenden offenen Gelände werden die Wegmarkierungen wichtiger als zuvor. Während Sommerwege mit Farbklecksen an Bäumen und Steinen markiert sind, erkennt man Winterwege an den aufgeständerten roten Holzkreuzen, die meist alle 50m aufgestellt sind. Solange der Weg gerade führt, ist ein Kreuz in Wegrichtung angebracht, bei Kursänderung finden sich jedoch meist zwei Kreuze in die jeweils entsprechende Richtung. Das stellt sicher, dass auch in Nebel und Schneetreiben der Weg noch zu finden ist. Im Naturum, dem lokalen Heimatmuseum in Vålådalen, wird die Geschichte der Bergsicherheit anschaulich erklärt.

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Rote Holzkreuze markieren die Winterwege

Unsere Route führt uns entlang des Anarisfjället ins Issjödalen über zugefrorene Seen und durch enge Klüfte. Nicht immer können wir den Holzkreuzen folgen, sind wir doch auf halbwegs skibare Schneebedingungen angewiesen. Am Issjön rasten wir kurz an den dortigen Renhüterhütten, füllen an einem Bächlein unsere Wasservorräte auf und nehmen dann den weiteren Weg in Angriff.

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Auf windgeschützten Nordhängen liegt eine fast geschlossene Schneedecke

Der folgende fast plane Teil ist Rest einer Kiesablagerung am Rande des Gletschers, der als steil abfallende und obenauf große homogene Fläche liegenblieb, als das Eis verschwand. Um mich und die Pulka dort hinauf zu bekommen, schnalle ich die Ski ab und bin sehr froh über das Profil meiner Winterschuhe. Eigentlich kann man ja beim Skifahren fast immer die Wärme durch Klamotten ganz gut regulieren, aber das gelingt hier nicht. 50m gehen, eine Minute stehen. Gut, dass es Stöcke zum Nachhelfen gibt. Oben angekommen liegt eine leicht gewellte Fläche mit langgestreckten steinigen und schneefreien Rücken vor uns, über die die Kreuze schnurgerade hinweg gehen. Wir hingegen mäandern durch die Niederungen, schnallen zuweilen die Bretter ab, um von einem Hügel aus einen Weg zu erspähen.

So bekommen wir leider von den Pyramiderna - den Erosionskegeln im Kies ganz in der Nähe - kaum etwas mit. Vom Ursprung dieser erodierten Reste des Kiesplateaus lernen wir erst im Naturum.

Später am Tag kommen wir noch an eine der STF-Hütten - die Lundörrstuga, entscheiden uns aber trotz leichtem Nieselwetter fürs Weitergehen. Einiger Abstieg bringt uns in das Tal des Lundörrsån, wo uns eine unbeschneite Hängebrücke mit Stahlgittermatten und ein teils zugefrorener Fluss vor die Qual der Wahl der Überquerung stellen. Am Ende tragen wir die Ski über die Brücke und zerren die Pulka auf Holzstangen über die Brücke. Bei entsprechenden Schneebedingungen würde das sicherlich wesentlich einfacher gehen…

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Windexponierte Stellen sind oft nur schneebehaucht

Die zweite Nacht verbringen wir im Zelt. Dieses haben wir vor allem aus Sicherheitsgründen dabei, aber auch aus Neugier. Kann man auch ohne Superschlafsack und große Extraausrüstung im Winter draußen kampieren? Der Test unter moderaten Bedingungen zeigt: Ja. Doppelte Isomatte ist schön, und bei strengem Frost müsste man wohl noch ein Paar Socken mehr anziehen. Aber prinzipiell ist das eine gute Variante für unkompliziertes Übernachten. Nachts mussten wir sogar wegen Überhitzung dringend etwas Lüften - so ein Zelt heizt sich eben wesentlich besser als eine ungleich größere Hütte.

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Lagerplatz im Schnee

Dazu kommt dieses immer-draußen-Gefühl beim zelten doch viel stärker auf. Frühstück in der Morgensonne vorm Zelt mit Tee und Müslimatsch und Ausblick auf schönes Wetter!

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Morgenstimmung

Der gemächliche Aufstieg aus dem Flusstal wird durch den überfrorenen Schnee vom Vortag nicht einfacher, dafür sehen und hören wir einige der Schneevögel, die mit ihrem weißen Gefieder vor dem Hintergrund aus Schnee und Baum selbst im Flug nahezu unsichtbar sind.

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An manchen Stellen sieht der wiedergefrorene getaute Schnee aus wie ein erstarrter Fluss

Unser Weg führt nun über teils extrem schneearme Hänge, wo wir nur mit Mühe und großen Umwegen einen skibaren Weg finden. Nach einem weiteren Flusstal steigen wir über eine Engstelle entlang einer recht tief eingegrabenen Schlucht hinauf in den höher gelegenen südwestlichen Teil des Tals. Auf einer großen, im Sommer sicherlich sumpfigen, Ebene treffen wir dort auch auf Rentiere. An einer Begegnung mit uns sind sie jedoch sichtlich deutlich weniger interessiert als wir und ziehen sich rasch in den Wald zurück.

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Aufstieg in den höher gelegenen Westteil des Tals

Den Tag beschließen wir an der Vålåstugan und unterstützen so den STF bei der Instandhaltung der Infrastruktur. Die Talebene und ein benachbarter Berg locken uns, sodass wir ohne Gepäck jeder eine individuelle Tour unternehmen; eine Bergbesteigung mit anschließender Abfahrt oder ein Rundlauf mit vielen Sonnenuntergangsbilder.

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Dramatischer Sonnenuntergang

Am nächsten Morgen hat sich das Wetter gedreht. In der Nacht ist es kälter geworden und ein ordentlicher Wind macht den überfrorenen Schnee zu einer exzellenten Rutschbahn. Zum ersten Mal sind wir beide mit Windjacke, und Kapuze, Schneebrille und Handschuhen fast voll ausgerüstet. Leider haben wir keine Schlittschuh und der Wind weht auch nicht in unsere Laufrichtung, sondern fast senkrecht dazu und dazu noch bergab. So habe vor allem ich zu kämpfen, mich nicht vom Wind wegwehen oder umpusten zu lassen. Mehrfach wird allerdings die - für solchen Seitenwind eindeutig zu hoch gepackte - Pulka umgeworfen, sodass das am Vortag schon etwas lädierte starre Zuggestell arg auf die Probe gestellt wird. Dann heißt es sich auf den Boden werfen und mit der Pulka zu drehen, um das Gestell nicht üer Gebühr zu belasten. Das funktioniert zum Glück ganz gut, und die Schäden an der Pulka wirken sich nicht sehr aus.

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Spiegelglatt gefrorener Schnee gepaart mit einem scharfen Wind

An einer Weggabelung offenbart sich ein fast schneefreier Weg vor uns - in beide Richtungen. Dazu ein meist von schräg von vorn kommender Wind. Trotzdem entscheiden wir uns für die Richtung Stensdalen, mit dem festen Vorsatz, einen Zeltplatz zu finden, sobald die Bedingungen zu ungemütlich werden.

Doch zuvor ziehen wir die Pulka durch Büsche und über die Heide, schnallen immer mal wieder die Ski ab und schlagen uns so durch den Wintersturm. Schließlich erreichen wir, es dämmert schon leicht, eine Flussbiegung mit großer Schneewehe, von der wir uns Windschutz erwarten. Beim Versuch, die Zeltheringe davor in den Boden zu bekommen wird jedoch schnell klar, dass in dem Eis keine Heringe zu befestigen sind. Die benachbarte Insel dagegen bietet ein bisschen Halt für die Heringe, hat dafür aber kaum Windschutz. Nach dem notdürftigen Aufbau des Zeltes sitzen wir Probe und es wird klar: Das wird keine Stunde halten - geschweige denn eine ganze Nacht. Also heißt es Arbeitsteilung: Während eine das Zelt beschwert und am Wegfliegen hindert, sucht der andere eine angemessene Stelle in der Nähe. Über den zugefrorenen und teils mit alten Rissen durchsetzten Fluss finden wir dann doch noch eine Stelle. Den heulenden und fauchenden Wind hört man nur fern in den Baumwipfeln, der tiefe Schnee weist auf Windschutz hin und als das Zelt dann steht, bewegt kaum ein Hauch die Zelthülle. Nachdem auch Wasser aus dem Fluss organisiert ist und das Essen fertig ist, fällt die Anstrengung des Tages ab und mit vollem Bauch geht es bald in Traumgefilde…

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Ein Hauch frischen Schnees

Der erste Blick aus dem Zelt am nächsten Morgen offenbart eine Überraschung. Frischer Schnee ist gefallen und der Wind verschwunden, stattdessen ist hin und wieder ein Fetzen blauen Himmels zu sehen.

So geht es dann mit frischen Schnee und frischem Mut die letzten Kilometer zur Stensdalen fjällstuga. Diese Hütte ist die modernste in der Region, da die alte Vorgängerhütte abbrannte. Heute gibt es dort skandinavischen Schick und gute Brandvorsorge in grandioser Umgebung. Wir bleiben jedoch trotzdem nicht lange, sondern machen uns nach Wetterauskunft und kurzem Smalltalk auf den Weg zurück nach Vålådalen. Im unberührten frischen Schnee gleitet es sich gut bergab, nur manchmal gibt es tückische Eiskanten von gefrorenen Schneemobilspuren, die unter dem frischen Weiß nicht zu sehen sind, aber die Ski doch in ihre eigene Richtung drängen.

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Auf alten Schneemobilspuren zurück in Richtung Zivilisation

Unterwegs treffen wir dann auch einige andere Skiwanderer, die gerade erst losgelaufen sind. Ganz zünftig gibt es da dann auch mal Röstzwiebeln auf den Haferbrei - wohl eine schwedische Spezialität.

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Fantastische Fernsicht über das gesamte Tal

Am nächsten Tag ist es nur noch ein Katzensprung bis Vålådalen. Dort besuchen wir das Naturum mit eindrücklicher All-Jahreszeits-Wildnis samt Bergwerk, vielen Informationen über Flora und Fauna, Geschichte der Besiedlung und sogar ein bisschen Sami-Kultur.

Nach Rückgabe der Pulka gibt es dann noch einen kleinen Ausflug auf den Vorberg des Ottfjället, von wir spektakuläre Aussichten über das Tal bis zu den umgebenden Bergen genießen. Das Wetter ist uns hold und zeigt immer wieder Sonnenschein auf beschneiten Hügeln.

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Die Berge an der Westseite des Tals sind Dunst gehüllt

Nach der zahmen Abfahrt gibt es dann noch einen Blick über das Örtchen, bevor die Rückfahrt beginnt. Mit Zug und Fähre und einigen Sprinteinlagen erreichen wir alle Anschlüsse und auch dieser Wintertraum ist schon wieder Geschichte.

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Die Station Vålådalen ist ein kleines Abfahrts- und Langlaufzentrum

Wie es der Zufall will liegt zur gleichen Zeit im Erzgebirge auf dem Kamm deutlich mehr als ein Meter Schnee. Das bietet sich dann vielleicht für das nächste Jahr als weniger reiseintensive Variante an…