Meine letzte Wanderung in Japan auf dieser Reise führt mich auf den Iwaki-san (岩木山) im Norden Honshus, in der Provinz Aomori. Der Iwaki-san ist ein 1625m hoher Stratovulkan, auch er gehört zu den 100 bekannten Bergen von Kyūya Fukada. Trotz seiner relativ geringen Höhe hat er eine Prominenz von über 1000m, steht also sehr frei in der Tsugaru-Ebene. Zudem ist er auch in der jüngeren Vergangenheit aktiv gewesen, zuletzt hat man heiße Dämpfe 1983 beobachtet.
Mein Anreise führt mich über Shin-Aomori und Hirosaki zum Iwakiyama jinja, dem Iwaki-Schrein. Dank japanischer Pünktlichkeit und hilfreichen Busfahrern erreiche ich trotz knapper Umsteigezeit von 3 Minuten tatsächlich meinen Bus zum Berg.
Ich bin schon relativ spät dran, erst kurz nach um fünf erreiche ich den Fuß des Berges und zögere nicht lange.
Durch die Tore des Schreins steige ich einen fast menschenleeren Weg hinauf. Das ist hier wohl eher selten, gehört der Iwakiyama jinja doch zu den Kokuhei Shōsha (国幣小社), den nationalen Schreinen dritten Ranges. Seine Ursprünge liegen im Jahr 780 unserer Zeitrechnung, aber nach japanischer Tradition werden Heiligtümer ja gern abgebrochen und originalgetreu neugebaut. Zudem ist alles aus Holz, und im feuchten Klima dort überlebt wohl selbst gut gepflegtes Holz nicht so lange.
Alles was ich weiß ist, dass der Weg auf dem Gelände des Schreins beginnt, aber zum Suchen fehlt mir etwas die Muße. Schließlich wird es in spätestens zwei Stunden dunkel und bis dahin wollte ich gern auf dem - oder zumindest in der Nähe vom - Gipfel sein.
So frage ich eine Frau, die dort gedankenversunken herumsteht. Natürlich spricht sie kein Englisch, aber da ich inzwischen einige wenige Kanji kenne, kann ich ihr 上 in den Kies malen, das Zeichen für oben. Dazu auf den Berg zeigen und Iwaki-san sagen vermittelt offensichtlich eine deutliche Botschaft. Ihrem fragenden Blick entnehme ich, dass sie das für meinen morgigen Plan hält. Auf meine Bekräftigung, jetzt den Weg zu suchen, schaut sie mich etwas zweifelnd an und weist mir den Weg links des Tempels durch den Zedernwald. Zudem schenkt sie mir ein vierblättriges Kleeblatt, für das ich mich so höflich wie ich es mit meinem Japanisch vermag bedanke.
Durch den Zedernwald beginne ich meinen Aufstieg. Ein Blick auf das GPS zeigt mir, dass ich mich auf nur 200m Höhe befinde, ganze 1400m stehen mir also noch bevor.
Ein Stück weiter bergauf treffe ich an einem Skihang einen campenden Japaner, der mich freundlich seine Wanderkarte fotographieren lässt. Er selbst steige morgen auf.
Am Waldrand stehen einige dramatisch wirkende Bärenwarnungen. Nicht dass ich die Zeichen lesen könnte - vermutlich wird eh nur höflichst gebeten, die Bären nicht zu stören - aber die Bilder zeigen sehr grimmige Bären in Angriffslaune. So hänge ich mir mein Wanderglöckchen um, und steige begleitet von nervtötendem Gebimmel und Mückengesurr den Berg hinan.
Nach einiger Zeit kann ich, schon ziemlich schweißüberströmt, Hirosaki in der Abendsonne liegen sehen.
Bald danach komme ich an einer Schutzhütte vorbei, doch da es noch einige Zeit verspricht hell zu sein gehe ich weiter. Der Weg bewegt sich für einige Meter entlang des Berges auf einer Höhe, bevor er in ein trockenes Bachbett hinauf geht. Freudig schöpfe ich aus den flachen Pfützen Wasser in meine Flasche, wird doch Wasser in Gipfelrichtung meist nicht weniger rar.
Als Ausnahme von der Regel höre ich bald Geplätscher und setze mein Weg in einem immer nasser werdenden Bachbett fort. Der Weg ist nun ziemlich steil, steinig und erfordert einige Trittsicherheit. Zudem wird es langsam aber sicher dämmrig und ich frage mich, ob die Schutzhütte nicht doch vielleicht die bessere Wahl gewesen wäre.
Im Tal sehe ich inzwischen die Lichter der Stadt blinken, in manchen überwachsenen Passagen des Weges ist es schon ganzschön dunkel. Zum Glück habe ich meine Lampe dabei, die einen kleinen Kreis vor mir erhellt und so sichere Tritte ermöglicht.
Der Weg ist jedoch auf größere Entfernung mit der Lampe nicht zu sehen, und als ich dann plötzlich auf einem bretthart gefrorenen Schneefeld stehe bin ich mir nicht sicher, ob der Weg nicht vielleicht doch irgendwo abgebogen ist…¿?
Die Hänge rundherum sehen allerdings kaum begehbar aus, so eiere ich vorsichtig über den glatten Eispanzer. Nach einiger Zeit flacht das Tälchen etwas ab, der Altschnee verschwindet und ich finde eine Wegmarkierung. In inzwischen fast vollständiger Dunkelheit erreiche ich ein Plateau und schwöre mir: der nächste hinreichend flache Platz ist mein Schlafplatz! Der Weg verzweigt sich und ich sehe einen See glitzern, direkt neben dem es ein Fleckchen Wiese zu geben scheint. Trocken genug für meine Zwecke wähle ich es als Schlafplatz aus und errichte mein Zelt im Lampenschein.
Nach einer erholsamen Nacht stelle ich am nächsten Morgen fest, dass der Schlafplatz recht idyllisch gelegen, von der Morgensonne jedoch nicht erreicht wird.
So lasse ich also mein Zelt stehen und erklimme die letzten Höhenmeter bis zum Gipfel. Auch nach Sonnenaufgang ist die Aussicht noch atemberaubend.
Im Norden liegt die Tsugaru-Straße, die Honshu und Hokkaido trennt, im Südwesten liegt Hirosaki in der von Apfelplantagen dominierten Ebene. Natürlich befindet sich auch auf diesem Gipfel ein Schrein, artig Verbeugen und Klatschen gehört dazu.
Auf dem Rückweg zum Zelt habe ich den Eindruck, hauptsächlich abzusteigen. Der Weg auf den Gipfel ist tatsächlich relativ anspruchsvoll, da er über große Steine und Stufen hinauf führt.
Ein kleiner Abstecher vor dem Abstieg führt mich auf den Nebengipfel, von dem aus das Tal südlich des Iwaki-san zu sehen ist. Dann begebe ich mich entlang des Sessellifts auf den Abstieg.
Nach kurzer Zeit erreiche ich den Parkplatz, dort wird gerade der Sessellift (natürlich ein österreicher Produkt) angefahren und die ersten Gäste treffen ein. Ich dagegen begebe mich auf den Abstieg in Richtung Süden.
Anfangs geht es durch Bambusdickicht, doch bald komme ich in den Wald. Der Weg läuft sich deutlich leichter als der Aufstieg - und das nicht nur der Richtung wegen. Teilweise besteht der Untergrund aus relativ rutschigem Lehm, der jedoch über große Strecken mit Holzpflöcken in Stufen gehalten wird. Dadurch komme ich schnell voran und erreiche nach nach kurzer Zeit das Dake Onsen am Fuß des Iwaki-san.
Ein Onsen ist ein traditionelles japanisches Gemeinschaftsbad mit heißen Wasserbecken. Diese werden von Thermalquellen gespeißt, die es im vulkanischen Gebiet natürlicherweise gibt. Das Dake Onsen präsentiert auch stolz seine Entstehungsgeschichte, auch wenn die Übersetzung etwas zum Schmunzeln anregt.
Mit dem Bus fahre ich zurück nach Hirosaki, wo ich mir Burg und Park ansehe. Die Burg stammt aus dem Jahr 1611 und hat eine bewegte Vergangenheit. Im Augenblick ist der Hauptturm der Burg von seinem eigentlichen Platz verschoben, da dort das Mauerfundament erneuert wird. Dadurch steht er etwas unmotiviert im inneren Teil des Parks herum.
Der Park ist für seine Kirschblüte berühmt; angeblich ist es der schönste Ort, um die Kirschblüte zu bestaunen. Aber das behauptet wohl jeder Ort in Japan von sich…